Lieber Franz, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Wir freuen uns sehr, dass du mit DREI ODER VIER BAGATELLEN nun dein zweites Buch im avant-verlag veröffentlichst. Magst du für diejenigen, die dich und deine Arbeit noch nicht kennen, ein paar Worte über deinen Werdegang verlieren? Wie bist du von der Illustration auf den Comic gekommen?
Durch das Illustrieren von Kinderbüchern und meine damalige Unterrichtstätigkeit, bei der das Erfinden von Bildgeschichten Teil des Unterrichts war, habe ich sozusagen ein altes Interesse
wiederentdeckt – nämlich das an Comics. Als Kind habe ich Comics geliebt, sogar gesammelt, alle möglichen Richtungen. Stunden verbrachte ich mit dem Lesen und Versinken in diesen Welten. Im Laufe
der Zeit ist dieses Interesse von anderen Dingen überlagert und zurückgedrängt worden – Giacometti und Morandi haben während meines Kunststudiums ihre Schatten auf alle anderen Formen der
Bildproduktion geworfen.
Vor ca. 12 Jahren habe ich begonnen, eigene Comics zu zeichnen. Anfangs habe ich einseitige, kurze Comics gezeichnet, im Postkartenformat vervielfältigt und als Freecard in Wien verteilt. Es waren schnell und schlampig gezeichnete Arbeiten, Ausschnitte aus dem Alltag der dargestellten Figuren, ein kleiner fortlaufender Kosmos. Es gab damals einen Blog, Raketa, auf dem ich später regelmäßig Comics veröffentlicht habe, zuerst schwarzweiß, dann in Farbe. Die Freude am Tun und die Resonanz der Leser*Innen hat mich immer weiter getragen.
Ich wusste zuvor nicht, wie glücklich es mich macht, Geschichten zu erfinden und bildhaft mit Text umzusetzen, in fremde Leben zu schlüpfen und die Emotionen in den gezeichneten Gesichtern zu erforschen und darzustellen ...
In BAGATELLEN geht es in vier Episoden um drei sehr unterschiedliche Personen, die jede*r für sich auf der Suche nach Zärtlichkeit und dem Glück sind. Als große Gemeinsamkeit eint sie, dass sie alle einen Alltag am Rand der Gesellschaft leben. Diesen Fokus kennen wir bereits aus deinen anderen Werken wie DIEBE UND LAIEN (avant-verlag) oder PAUL ZWEI (Luftschacht). Was treibt dich dazu an, diese Lebensrealitäten und soziale Ausgrenzungen in deinen Werken zu erkunden? Was macht den Comic dafür zu einer guten Ausdrucksform?
Die Wirklichkeiten benachteiligter – oder besser, nicht in einem hohen Maße privilegierter – Menschen in Mitteleuropa sind mir näher. Das hängt vermutlich mit meinem eigenen Aufwachsen zusammen. Sie machen auch den größten Teil der Mittelschicht aus: Menschen, die eben nicht mit dem Sportwagen herumfahren können (und hoffentlich auch nicht wollen), sondern ihr Auskommen mit wenigen materiellen Gütern suchen. Andererseits finde ich gar nicht, dass diese Personen Randständige sind. Bei einer Mittelschicht, die immer mehr verarmt, ist das dann die Mehrzahl in der Mitte, nicht am Rand. Kurz, es fällt mir leicht, mich einzufühlen in Personen, denen man ansieht, dass sie Probleme mit alltäglichen Dingen haben und nicht beschäftig sind mit der quälenden Frage, wo sie ihr vieles Geld investieren sollen. Die Mitte und der Rand sind relative, weiche Begriffe, man kann in beide Richtungen weiter nach oben und unten schauen. Davon unberührt sind im Vergleich die Lebensrealitäten von Menschen in Ländern, wo der Lebensstandard noch viel niedriger ist.
Ich kann die Frage nach „Comicmedium und Ausdrucksform“ gar nicht richtig beantworten ... Ich habe mich für die Bildgeschichten entschieden – zur Zeit ist das Arbeiten an Comics mein künstlerischer Schwerpunkt. Und das Zeichnen hat mich schon immer interessiert, das habe ich als Kind schon gern gemacht (vielleicht wie alle Kinder) und da liegt auch meine entwickelte Begabung: Die Darstellung von Situationen, dem Innenleben der Personen und in gewisser Weise auch dem Tonfall des gesprochenen Wortes.
Textarbeit ist eine harte Plagerei, mit vielen Unsicherheiten verbunden, darum tue ich besser daran, mehr mit Bildern zu sagen als mit Worten.
In deinen Geschichten durchleben deine Figuren eine beklemmende Situation nach der nächsten – was schlimm begann, endet noch schlimmer. Wie schaffst du es erzählperspektivisch, dieses unangenehme Gefühl durch die Seiten hindurch so nahbar zu vermitteln? Ist das etwas Geplantes, oder ergibt sich das im Laufe der Geschichte von selbst?
Tatsächlich gehe ich immer von einem Thema aus, ich überlegte mir z.B. bei BAGATELLEN, was könnte in einer Toilette passieren, welcher Ort ist das? Ein Fluchtort zum Verstecken, ein Ort für eine sexuelle Begegnung, ein Ort, an dem man wieder zur Besinnung kommen kann? Wenn ich die grobe Struktur habe, fülle ich sie sozusagen mit Leben bzw. Personen. Manchmal sehe ich jemanden auf der Straße und imaginiere diese Person als meine Heldin. Im Kapitel „Birgitte“ zum Beispiel – die Protagonistin namens Brigitte basiert auf einer kurzen, aber beeindruckenden realen Begegnung in einer Fleischhauerei in Wien vor einiger Zeit. Ich stelle mir dann vor, wie diese Person lebt, wie ihr Zuhause aussieht, welche Ziele sie verfolgt, was sie sonst so umtreibt usw. Alles sind natürlich Fantasien (und Übertragungen), und immer im Kontext meines Themas gedacht.
Zum Thema bin ich gekommen, als ich nach PAUL ZWEI eine leichtere Arbeit machen wollte und eine Erinnerung: Beim Fumetto-Festival (und auch davor) habe ich an einem lustigen Abend festgestellt, wie gern die Leute Klogeschichten hören bzw. selber erzählen wollen, „best of-Peinlichkeiten“ sozusagen. Eine andere frühere Quelle ist das Buch NACKT von David Sedaris mit Kurzgeschichten, darunter etwas mit Toiletten.
Beim Lesen verspürt man an einigen Stellen einen Cocktail aus Mitgefühl und gleichzeitig auch Ärger und Frust über die Figuren. Was magst du an deinen Charakteren? Würdest du dich mit ihnen auf einen Kaffee (oder Kakao, ohne Zucker) treffen?
Kaffeetermine mit diesen Leuten? Ich empfinde eine Art professionelle Zuneigung zu den meisten Dargestellen und habe auf gewisse Art eine sozialarbeiterische Haltung ihnen gegenüber, die auch gleichzeitig ein wenig distanziert. Ich freue mich, dass sie an meiner Stelle all dieses Ungemach erleben. So muss ich es nicht selber tun und kann aus den fremden Fehlern der anderen Menschen – auch wenn nur vorgestellt, aber dann doch bildhaft exekutiert – lernen.
Du hast dich in diesem Band für eine schwarzweiße Farbgebung entschieden. Kannst du uns etwas zu dieser Entscheidung und zu deiner Zeichentechnik erzählen? Mit welchen Materialien arbeitest du? In welchem Verhältnis hast du digitale und analoge Techniken eingesetzt?
BAGATELLEN habe ich 2017 und 2018 gezeichnet, mit Ausnahme der Fortsetzung einer Geschichte, die ich im ersten Lockdown weitergeschrieben habe. Dies war für mich selbst als Trost gedacht: Michael, der Protagonist, kann sich für oder gegen eine Aktion entscheiden, das Ergebnis am Ende bleibt jedoch gleich. Als im ersten Coronajahr alles geschlossen wurde, und man kaum etwas erleben konnte, war mir dieser Gedanke eine Hilfe, nichts zu bereuen zu haben.
Bleistiftzeichnungen sind eine sehr mobile und wenig aufwendige Technik, ich arbeite gern außer Haus, bei Freunden, unterwegs. Digital überarbeite ich die eingescannten Blätter dann noch mit Tablett (das Helldunkel, eingefügte Flächen), bis ich das Gefühl habe, die Zeichnung ist fertig.
Alle vier Teile von BAGATELLEN habe ich in Vorbereitung der Veröffentlichung nochmals gänzlich überarbeitet, überzeichnet und teilweise erweitert und neu getextet.
Im letzten Interview zu DIEBE UND LAIEN haben wir dich nach der Wiener Comic-Community gefragt. Das möchte ich hier gerne, fast zwei Jahre später, auch nochmal tun. Wie geht es dem Comic in Österreich? Gibt es Autor*innen oder Werke, die dich beeinflussen und inspirieren (auch über Österreich hinaus)?
Es wird immer besser, weil lebendiger! Die Österreichische Gesellschaft für Comics (OeGeC) ist sehr engagiert und initiiert Lesungen, Festivals, Meetings und Talks. Und möglicherweise gibt es auch bald ein eigenes Comicstipendium für größere Vorhaben. Viele der jüngeren Zeichner*innen publizieren (bei deutschen Verlagen) und arbeiten intensiv an ihren Projekten: Albert Mitringer, Vinz Schwarzbauer, Janne Marie Dauer, Lenz Mosbacher, Monika Ernst ... Nico Dostal gibt eine selbst finanzierte Anthologie in Wien heraus, SPROSS. Und es gibt noch immer die Hefte von Tisch14, die regelmäßig erscheinen. Ich lese leider nicht so viel, wie ich gern möchte – meine to-do-Liste wird immer länger. Aber fast alles, was ich an Comics lese, inspiriert mich. Es gibt immer zeichnerische Lösungen und textliche/inhaltlich Aspekte, auf die ich nicht gekommen wäre und die mich erfreuen und beeindrucken.
Erst kürzlich wurde dir der Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung für dein bisher unveröffentlichtes Projekt JAKOB NEYDER verliehen, und BAGATELLEN ist dieses Jahr für den Max und Moritz-Preis nominiert. Wir freuen uns, dass deine Arbeit so viel beachtet und ausgezeichnet wird – und auf weitere Projekte von dir. Was hast du für die Zukunft geplant?
JAKOB NEYDER wird mich noch das ganze restliche Jahr 2024 beschäftigen.
Anfang 2025 mache ich eine Comicseite für Le Monde diplomatique und Tina Brenneisen hat mich nächstes Jahr für ein Murksheft ihres Verlags Parallelallee zum Thema „Wundmutterung“ eingeladen – was mich alles besonders freut.
Danke, Franz!