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Die Grube | Interview mit Erik Kriek

Hallo Erik! Wie schön, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über dein neues Buch Die Grube zu reden! Es sind ja bereits einige tolle Bücher von dir in deutscher Übersetzung beim avant-verlag erschienen – magst du uns trotzdem nochmal erzählen, wer du bist, wie du zum Comic gekommen bist und was dieses Medium für dich so besonders macht?

 

Hallo! Ich bin Erik Krieg, 57 Jahre alt und arbeite seit nun fast schon 30 Jahren als freiberuflicher Illustrator und Comickünstler. Ich lebe und arbeite in Amsterdam. Dort wohne ich zusammen mit meiner Frau Stans, unserem Sohn Clovis und der Katze Whiskey. Ich zeichne schon mein ganzes Leben, seitdem ich klein bin. Ich bin ein ganz klassischer Künstler, was das angeht. Zeichnen war schon immer mein „safe space“ und eine Möglichkeit für mich, einen Sinn in die chaotische Welt im mich herum zu bringen; aber es ist auch mein Job geworden, mit dem ich Geld verdiene. Ich habe bereits für viele Magazine und Zeitungen illustriert, Plattenhüllen und Poster gestaltet, ich habe sogar schon Snowboards und Sneaker designt. Meine große Liebe ist und bleibt allerdings das Zeichnen für Bücher.

Mitte 20 habe ich angefangen, meine ersten Comics zu zeichnen, aber ich habe das Gefühl, dass meine (internationale) Karriere erst vor Kurzem Fahrt aufgenommen hat. Ich konzentriere mich jetzt auf die Arbeit an Geschichten mit dem Umfang einer längeren Graphic Novel, weil ich entdeckt habe, dass mir diese Art des Schreibens und der künstlerische Ehrgeiz dabei sehr viel Spaß macht. Ich musste erst 50 werden, um das festzustellen. Jedes Buch ist eine neue Entdeckungsreise. Sehr aufregend!

Comics sind ein fantastisches Medium. Die Mischung aus Worten und Bildern und wie sie zusammenspielen, ist fast grenzenlos.

 

In Die Grube ziehen Sara und Hubert nach dem tragischen Verlust ihres Sohnes in ein altes Familienhaus in den Wäldern der Veluewe – die Möglichkeit zum Neuanfang entpuppt sich allerdings als Horrorszenario. Trauer, Resilienz, Partnerschaft, Psychose – in der Geschichte behandelst du viele Situationen, in denen das Übernatürliche auf reale Ängste und Traumata trifft. Was macht für dich das Genre Horror, in diesem Fall auch gerade psychischem Horror, so interessant?

 

Ich schreibe gerne Geschichten, in denen ich meine Hauptfiguren regelrecht quäle. In Die Grube habe ich darüber hinaus auch versucht, ein paar persönliche Themen zu erkunden. 2018 erlitt ich einen Schlaganfall, der meine linke Seite gelähmt hat. Seitdem habe ich mich zu etwa 85% erholt (ich habe zum Beispiel immer noch Probleme, meine linke Hand zu benutzen und humple). Sich von diesem totalen Kontrollverlust über mein Leben zu erholen und meine neue Situation zu akzeptieren, hat sich für mich fast wie ein Trauerprozess angefühlt; mich von meinem „alten Ich“ zu verabschieden und den „neuen Erik“ zu entdecken, war eine bewegende und tiefgreifende Erfahrung, sowohl persönlich als auch künstlerisch.

Eigentlich schreibe ich ja keine autobiografischen Geschichten und ehrlich gesagt ist die Genesung von einem Schlaganfall sehr, sehr, sehr langweilig – das kann ich aus Erfahrung sagen – also war diese Geschichte zu schreiben auf eine Weise kathartisch für mich. Außerdem habe ich einen Sohn, und meine größte Angst ist es, ihn zu verlieren. Mich mit dieser Angst in der Geschichte zu konfrontieren, war ebenfalls kathartisch. Die Grube hat sich einfach so zu einer düsteren Geschichte entwickelt, weil ich mich in einer düsteren Zeit befand, als ich die ersten Ideen dafür hatte. Ich hatte nicht vor, spezifisch eine Horrorgeschichte zu schreiben, es ist nicht meine Art, mich auf ein bestimmtes Genre zu beschränken. Aber ich mag Horror, und ich mag es auch übernatürliche Elemente in meinen Geschichten zu verwenden. Meine Leser*innen zu unterhalten, steht für mich an erster Stelle.

 

In der Geschichte dürfen wir uns über einige klassische (Folk)Horror-Elemente freuen, so zum Beispiel die ominösen Zeichen im Wald á la Blair Witch. Wer sind deine Vorbilder in der Horror-Erzählung – Film sowie Literatur?

 

Ich lese alles, was Stephen King schreibt. Mein Lieblingsbuch von ihm, PET SEMATARY (da geht es auch um Verlust) war eine große Inspiration für mich (ich hab sogar eine Szene daraus geklaut!) Auch H.P. Lovecraft habe ich immer im Hinterkopf. Vor Kurzem habe ich den britischen Autor Adam Nevill entdeckt, und lese mich gerade durch all seine Werke. Sehr zu empfehlen!

Ich bin mit Horrorfilmen aufgewachsen, aber nur wenige von ihnen sind gut gealtert. Ari Aster und Jordan Peele sind Regisseure, die das Genre auf wirklich interessante Weise erweitern. Meine letzte Entdeckung war der Film „Barbarian“ von Zack Cregger aus dem Jahr 2022. Mehr sage ich nicht dazu, schaut ihn einfach und gruselt euch selbst. Was für ein Meisterwerk, das auch seine düster-spaßigen Seiten hat!

 

Du zeichnest Sara und Hubert als zwei Menschen, deren Beziehung im Verlauf der Geschichte schleichend verfällt. Kannst du uns noch mehr über deine Protagonisten erzählen?

 

Ich weiß nicht, ob irgendeine Ehe oder Beziehung den Verlust eines Kindes überhaupt aushalten kann. Wenn man sich die Statistiken dazu anschaut, sieht man, dass sich viele Paare in ihre Trauer zurückziehen und sich darüber auseinanderleben. Dem wollte ich nachgehen. Eventuell ist Sara ein bisschen mehr wie ich, und Hubert ist mehr „praxisorientiert“, mehr wie meine Frau. Aber vor jeder meiner Geschichten widme ich meinen Figuren sehr viel Aufmerksamkeit. Ich versuche, ihnen etwas wegzunehmen, was ihnen als Folge eine Motivation gibt – und dann schreibt sich die Geschichte fast von alleine.

 

Das Setting – der atmosphärische, dichte Wald, ein altes Haus, urige Nachbarn – trägt maßgeblich zum düsteren Ambiente bei. Warum hast du dich für diese Umgebung entschieden, gerade auch im Kontrast zur Großstadt Amsterdam, aus der das Paar wegzieht? Hattest du eventuell reale Vorbilder für einige Szenerien aus deinen heimischen Wäldern in den Niederlanden?

 

Die Familie von einem Freund von mir besitzt ein altes Herrenhaus in der Veluwe. Wir haben dort viel Zeit verbracht und mit angepackt, denn die Instandhaltung braucht viel Arbeit! Ich habe diesen alten Ort schon immer gemocht und wollte ihn als Schauplatz für eine Geschichte verwenden. Außerdem wollte ich, dass die Geschichte in Holland spielt. Wir haben keine Wildnis in unserem Land, alles ist organisiert und strukturiert. Aber es gibt hier und da noch kleine Flecken im Wald, die von Legenden und Mythen umgeben sind. Sie waren die Inspiration für diese Geschichte.

 

Nach Der Verbannte ist Die Grube deine zweite längere Erzählung. Worin besteht für dich der Unterschied bei der Arbeit, im Vergleich zu deinen vorherigen Sammlungen von Kurzgeschichten wie z.B. Vom Jenseits? Was wird dein nächstes Projekt sein? Können wir auf noch mehr Lesestoff hoffen?

 

Wenn man erst einmal den Dreh raus hat, sind 100+ Seiten keine unüberwindbare Aufgabe mehr. Das Schreiben macht mir immer mehr Spaß und ich werde mit jedem Buch sicherer. Mein neues Projekt heißt „Korpi“ (Arbeitstitel). Das ist ein finnisches Wort und bedeutet so viel wie „Wildnis“ oder „wilder Wald“ und ist eine Geschichte über Krieg und Soldaten, die in der Zeit des finnisch-sowjetischen Winterkriegs 1939-1940 spielt. Ich kann noch nicht allzu viel darüber sagen, es ist noch ziemlich am Anfang. Es wird allerdings ganz anders sein als Die Grube, so viel kann ich sagen. Diesmal gibt es keinen übernatürlichen Horror – aber vielleicht den Echtzeit-Horror des Krieges.

 

 Vielen Dank für dieses Gespräch!

 

Die Grube ist seit April 2024 erhältlich.