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#Erstkontakt_ | Interview mit Bruno Duhamel

Hallo lieber Bruno, vorab danke, dass du dir die Zeit nimmst, ein paar Fragen von uns zu beantworten. #ERSTKONTAKT_ ist nun schon dein vierter Comic beim avant-verlag. Magst du uns erzählen, was dich dazu motiviert, Comics zu machen, und woher du deine Inspiration nimmst?

 

Es fällt mir schwer, nur eine einzige Motivation zu nennen – es gibt viele. Als Kind war ich eher ein ‚schlechter‘ Leser und habe meine ersten Romane erst im Alter von 14 oder 15 Jahren gelesen. Ich habe mit Comics Lesen gelernt und lange Zeit auch nur Comics gelesen. Die erste Motivation als Kind war also, meine Lieblings- autoren nachzuahmen, vor allem Franquin, Morris und Uderzo. Zeichnen ist in gewisser Weise auch eine Fortsetzung des Spielens mit Playmobil. Ich habe gerne Geschichten mit meinen Spielzeugen erzählt. Ich hatte jedoch nicht alle Elemente, die ich gebraucht hätte. Mir fehlten das Piratenschiff, die US-Kavallerie, die Außerirdischen, die Raumschiffe usw. Das Zeichnen kam also dazu, um diese Lücken zu füllen und mir zu ermöglichen, alles, was mir in den Sinn kam, zu erzählen. Und Geschichten zu erzählen, füllte eine Langeweile aus, die meiner Meinung nach für diese Praxis unerlässlich ist.

Als Erwachsener (oder fast) wurde es aus zwei Gründen zu einem Beruf: Einerseits, weil es durch harte Arbeit das einzige Gebiet war, in dem ich ein einigermaßen akzeptables Niveau erreicht hatte. Und vor allem, weil es das einzige war, was mir erlaubte, mich niemals zu langweilen und Tag für Tag dazuzulernen. Ohne das Zeichnen und das Erzählen von Geschichten verfalle ich schnell in Depressionen.

 

Wie in NIEMALS handelt die Geschichte von einem zurückgezogen lebenden Menschen, einem Einsiedler. Woher kommt deine Faszination für diese rauen Orte und Charaktere, die du darstellst?

 

Ich bin ein eher zurückgezogener und sehr unabhängiger Mensch, fast schon selbstgenügsam in zwischenmenschlicher Hinsicht. Ich versuche, zumindest ein Minimum an sozialen Kontakten aufrechtzuerhalten, und meine Neugier rettet mich, indem sie mich zu anderen Menschen hinzieht. Meine Figuren spiegeln diesen kleinen ‚Einsiedler‘-Aspekt wider, ich treibe es bei ihnen jedoch ins Extreme. So zwingen sie mich, mich um ein Leben in Gesellschaft zu bemühen, damit ich nicht so ende wie sie. Gleichzeitig spiegeln sie auch das Gefühl wider, fremd in seiner eigenen Zeit zu sein, von den Ereignissen überfordert und von der Technologie abgehängt. Auch das ist ein Teil von mir, aber nur ein Teil, da ich ziemlich neugierig auf neue Technologien bin, auch wenn sie mir teilweise Angst machen. Im Allgemeinen glaube ich, dass meine Figuren eine extreme Version bestimmter Charaktereigenschaften sind – Eigenschaften, die ich selbst besitze, die mir aber Angst machen, oder die ich überhaupt nicht mag, wie Egozentrik, Herablassung, Arroganz.

 

In deinen Comics widmest du dich gerne größeren Themen, wie zum Beispiel dem Klimawandel. Mit #ERSTKONTAKT_ machst du auf die Mechanismen der sozialen Medien aufmerksam und zeigst, wie schnell sich Unwahrheiten oder sogenannte Fakenews verbreiten. Welche Gefahren siehst du darin, dass Nachrichten so schnell veröffentlicht werden, dass dabei manchmal gar nicht die Zeit bleibt, sie zu überprüfen?

 

Die beiden größten Risiken sind meiner Meinung nach einerseits der Verlust jeglicher Überzeugungen und andererseits die Gefahr von Verallgemeinerungen und Schnelljustiz. 

Das erste Risiko besteht darin, dass wir durch die ständige Flut von Fake-News, aber auch durch die systematische Inszenierung von Informationen – oft, um sie spektakulärer zu machen – nicht mehr wissen, woran wir glauben können, und dazu neigen, zu viele Dinge infrage zu stellen. Ich bin nicht religiös, aber ich möchte bestimmte Ideen verteidigen, die ebenfalls auf Glauben beruhen: Demokratie ist zum Beispiel ein Glaubenssystem. Wenn man aufhört, daran zu glauben, bricht sie zusammen. Sie wird jedoch sehr häufig infrage gestellt. Das haben wir während der Covid-Pandemie gesehen: Medien und Politiker schienen von der Effizienz autoritärer Regime fasziniert zu sein. Demokratie ist jedoch von Natur aus in solchen Situationen weitaus weniger effizient. Auch im Kampf gegen Kriminalität. Die Justiz in einem Rechtsstaat ermöglicht es den Kriminellen, sich zu verteidigen. Sie ist also weniger effizient als ein Volksgericht. Aber am Ende ist die Volksjustiz weitaus schlimmer.

Das zweite Risiko, das der Verallgemeinerungen, ergibt sich aus dem Fehlen gründlicher Überlegungen. Soziale Netzwerke zwingen uns zu schnellen Reaktionen, oft unter dem Einfluss von Emotionen, und das öffnet Tür und Tor für Verwirrungen aller Art. Zum Beispiel die Verwechslung zwischen der Tat und der Darstellung der Tat, die mich beunruhigt, weil sie die Meinungsfreiheit betrifft. Die Darstellung eines Verbrechens macht den Urheber dieser Darstellung nicht zum Verbrecher. Doch einige Künstler wurden kürzlich mit Anschuldigungen konfrontiert, die aus dieser Verwirrung entstanden sind. Das führt schnell zu einem Verbot, bestimmte Dinge darzustellen oder sogar nur darüber nachzudenken, um kein schlechtes Beispiel zu geben. Das ist schrecklich, denn künstlerische Praxis muss ein wenig transgressiv sein. Kunst ist eine Art ‚Schutzvorrichtung‘, und sie kann ein Ventil sein, das es einigen ermöglicht, ihre Verrücktheit auf relativ harmlose Weise auszuleben (vorausgesetzt, das Publikum ist gebildet).

Sie muss auch die Welt so darstellen, wie sie ist, und nicht in einer idealisierten oder vorbildlichen Vision. Denn in diesem Fall hat sie keinen künstlerischen Wert mehr. Sie wird zur Propaganda. Das schließt jedoch nicht aus, dass es bestimmte Grenzen gibt. Aber diese Grenzen sind bereits gesetzlich festgelegt.

Und wenn man den Bereich der Meinungsfreiheit verlässt, sind Verallgemeinerungen und Verwirrungen ebenso gefährlich, sei es in Bezug auf Migranten, Impfungen, Ökologie usw. Ein aktuellster Fall ist die Verwechslung zwischen ‚Widerstand‘ und ‚Terrorismus‘, zum Beispiel ... 

 

Doug der Protagonist in #ERSTKONTAKT_ ist eigentlich Fotograf und hat seine eigenen Probleme mit den sozialen Medien. Aufgrund seiner Unsicherheit vermeidet er es, seine Fotografien zu veröffentlichen. Zudem hat er mit der Zeit festgestellt, dass seine Motivation, Bilder zu veröffentlichen sich geändert hat. Das Urteil der anderen fing an, den Spaß zu überdecken, den er ursprünglich beim Fotografieren hatte. Gibt es da Parallelen bei dir und wie wirken sich die sozialen Medien auf deine Arbeit aus? 

 

Dies ist die entscheidende Frage für jeden Kreativen: Muss man dem Publikum gefallen? Besonders dann, wenn der Kreative von seiner Kunst leben möchte. Natürlich ist diese Frage auch für mich wichtig; es ist ein täglicher Kampf zwischen der Demut einerseits, die erfordert, die Kritik des Publikums zu berücksichtigen, sie zu verstehen und anzunehmen, und der Unabhängigkeit andererseits, die es ermöglicht, zu sich selbst zurückzukehren, eine originelle, persönliche Vision anzubieten und sich von der ‚offiziellen‘ Denkweise seiner Zeit zu lösen, selbst wenn das bedeutet, nicht jedem zu gefallen. Wenn ein Autor nicht zumindest ein gewisses Risiko eingeht, wird das Publikum nur noch stark entschärfte, vorhersehbare Werke lesen, die darauf ausgelegt sind, der breiten Masse zu gefallen. Das ist das Problem mit ‚Großproduktionen‘: gewaltige Budgets und die Notwendigkeit, beliebt zu sein, um profitabel zu bleiben. Es ist auch das Problem mit dem Urteil des Publikums: Es ist nicht immer gut durchdacht. Das Publikum mag es selten, von einem Werk überrascht oder gar gestört zu werden. Es liebt es, das wiederzufinden, was es bereits kennt, ein Universum zu erkennen, angenehme Empfindungen wiederzuerleben und mit der Botschaft oder den Ideen des Künstlers übereinzustimmen. Es liebt es, im Voraus zu wissen, was es sehen wird, und für sein Geld etwas Vorhersehbares zu bekommen. All das widerspricht jedoch der Idee von Kreativität.

 

Du schaffst es, ernste Themen humorvoll zu verpacken. Spiegeln deine Comics die Art und Weise wieder, wie dein Umgang im Alltag mit solchen Themen ist? 

 

Meine Geschichten dienen mir genau dazu: Wenn mir etwas Angst macht, versuche ich, diese Sache zu entschärfen, indem ich eine Geschichte schreibe, die es mir ermöglicht, das Thema mit möglichst viel Humor und Ironie zu betrachten, um die Angst davor zu verlieren. Und wenn diese Geschichte anderen hilft, das Thema zu entschärfen, dann habe ich mein Ziel erreicht. Ich denke, Humor ist eine hervorragende Waffe gegen Bedrohungen, egal ob intellektueller oder physischer Natur. Humor ist ein echtes Überlebenskit, und ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren viel Humor brauchen werden.

 

Bleiben wir noch kurz beim Humor, der in deinen Comics ein sehr wichtiges Element darstellt. Hast du Vorbilder die dich dahingehend geprägt haben oder an denen du dich orientierst? 

 

Meine humoristischen Einflüsse sind eher in der allgemeinen Literatur, im Theater oder im Kino zu finden als in der Comicwelt, mit Autoren wie Romain Gary, Daniel Pennac, John Irving, Molière, Cervantes, Shakespeare, Chaplin, Buster Keaton, den Monty Pythons, Ettore Scola und vielen anderen. Aber man muss trotzdem Franquin in seinen besten Zeiten erwähnen, darunter die Spirou und Fantasio-Alben ‚QRN ruft Bretzelburg, Der Plan des Zyklotrop und Im Banne des Z, oder seine Reihe Schwarze Gedanken, und natürlich Goscinny. Auch Sempé. Gut, und dann Bill Watterson, Reiser, F‘murr und viele andere.

 

Kannst du uns noch ein bisschen was zu deinem Zeichenstil erzählen? Welche Techniken nutzt du und auf was achtest du zum Beispiel bei der Farbauswahl?

 

Ich zeichne meistens mit traditionellen Techniken: Bleistift, Papier, Tusche, Feder oder Pinsel, je nachdem, ob ich ein härteres oder weicheres, schärferes oder flexibleres Ergebnis erzielen möchte. Manchmal benutze ich auch feine Filzstifte, um schneller zu arbeiten, aber es kommt vor, dass ich gar nicht tusche und stattdessen eine sehr saubere Bleistiftzeichnung mache, um ein trockeneres, weniger glattes Ergebnis zu erzielen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen, wie Falsche Fährten, das vollständig digital erstellt wurde aufgrund des Lockdowns. Ich konnte weder in mein Atelier gehen noch mein gesamtes Material nach Hause bringen. Auch die Massenszenen in #Erstkontakt_ wurden digital erstellt, wegen der Anzahl der Figuren und der Detailgenauigkeit: Mein Atelier ist 4m2 groß, und ich kann dort nicht auf großformatigem Papier arbeiten, was für solche Sequenzen sehr nützlich wäre. Die Farbe wird immer am Computer erstellt, auch hier aus Platzgründen und weil die größte Erfindung dieses Jahrhunderts, das ‚CTRL+Z‘, es mir ermöglicht, Risiken einzugehen, die ich bei einer traditionellen Kolorierung nicht wagen würde. Ich arbeite gerne mit Stimmungsfarben, grafischen Kontrasten und klaren Farbflächen. Meine Farbgebung ist eher expressionistisch als realistisch: Sie soll Emotionen vermitteln, überraschen und Assoziationen wecken. Ich versuche, mehr an ‚Licht‘ oder ‚Gefühl‘ zu denken als an ‚echte Farbe‘. Der gesamte Prozess besteht aus vier Schritten: einem recht detaillierten ‚Schnitt‘ (Storyboard), einer endgültigen Bleistiftzeichnung, dem Tuschen und der Kolorierung. Nach Falsche Fährten und dieser Erfahrung des ‚vollständigen Digitalen‘ war die Neuerung, dass ich wieder so viel wie möglich manuell arbeitete: Meine letzten beiden Alben wurden mit lavierten Tuschezeichnungen erstellt, mit verschiedenen Verdünnungsstufen, die es mir ermöglichen, alle Volumen in unterschiedlich intensiven Grautönen zu modellieren und das Licht besser zu bearbeiten. Dadurch habe ich viel vollständigere Originale als bei einer reinen Tuschezeichnung mit klaren Linien. Anschließend verwandle ich all diese Grautöne mit Hilfe des Computers in Farbe. Das zwingt mich, den Zufall und die Unvorhersehbarkeit des Werkzeugs wieder zu akzeptieren, etwas, das im Digitalen unmöglich ist. Und es verhindert, dass ich Zeit damit verschwende, bei 300% in Details zu zoomen, die niemand außer einem Wanderfalken sehen kann.

 

Gibt es schon ein neues Projekt, an dem du arbeitest?

 

Es gibt zwei laufende Projekte. Das eine trägt den Titel Whisky und handelt von zwei Obdachlosen, deren ‚Meister-Schüler-Beziehung‘ durch die Ankunft eines verlorenen Hundes, der von seinen Besitzern gesucht wird und für dessen Auffindung eine Belohnung ausgesetzt ist, völlig aus den Fugen gerät. Dieses Album wird von David Ratte gezeichnet, und ich bin nur der Szenarist.

Das andere Album spielt in einer französischen Landschaft, die ich sehr liebe und die ich bereits in Le Voyage d‘abel in Szene gesetzt habe. Es wird die Geschichte des Erwachsenwerdens eines jungen Träumers erzählen, der eine Leidenschaft für Schatzsuchen hat. Bei diesem Album bin ich Autor, Zeichner und Kolorist.

 

#Erstkontakt_ ist hier erhältlich.

 

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